(rf/pm) Nach dem Auffinden einer Urkunde im Mai 2018, die im örtlichen Archiv aufbewahrt wird, die als stark gefaltetes Dokument mit einem größeren und beeindruckenden Siegel beschrieben werden kann, welche in der Kanzlei des hessen-darmstädtischen Landgrafen Ludwig VI. gefertigt und die mit dem Datum des 18. September 1668 versehen worden ist, dürfte unumstritten sein, dass Alsfeld 2019 seinen „Pfingstmarkt“ als „einen offenen freien Jahr-Markt“ zum 350. Mal begehen kann.
Obschon der Pfingstmarkt im hiesigen Ort vor dem 17. Jahrhundert eingerichtet worden war und namhafte Historiker der Stadt die Wurzeln dieses Ereignisses mindestens bis ins 16. Jahrhundert zurückverfolgt haben, liegt die Besonderheit der Urkunde vom 18. September 1668 darin, dass Landgraf Ludwig VI. mit diesem Dekret aus einem „unfreien“ einen „offenen freien Jahr-Markt“ schuf, der von „allen in Stadt und Land besucht werden konnte und alle dort freien Handel treiben“ durften (Rudolf, Oberhessische Zeitung v. 16. Mai 2018). Ludwig VI., welcher der Stadt wohlgesonnen war und ihrer Bitte um Verleihung eines bedeutenderen Marktes zur Hebung der Wirtschaftskraft entsprach, um selbstverständlich davon zu profitieren, erlaubte am 18. September 1668 diesen offenen und freien Markt, auf dem der heutige Pfingstmarkt beruht. Neben dem einstigen „Einläuten“ des Marktes war und ist es in Alsfeld Tradition und Brauch, wie es in anderen Orten ebenso Usus ist, die ortseigene Marktfahne zu hissen, worauf Alsfelds ehrenamtlicher Stadtarchivar Michael Rudolf in seinen Beiträgen mehrfach hinwies. In der Alsfelder Marktmeisterordnung 1570 beziehungsweise im Marktmeistereid (Rudolf 1997) heißt es beispielsweise, dass Frucht, Käse, Butter, Eier und andere Notdurft nicht vor den Toren der Stadt oder in den Gassen verkauft werden, sondern auf den Markt gelangen soll, „bißsolang das frey fenleyn (Fähnlein) ingetzogenn“ sei.
Die Marktfahne war nicht nur Zeichen des sichtbar gemachten Marktfriedens, sondern bestimmte die Dauer des Handelns auf dem Markt, der mit dem Hissen der Marktfahne begann und mit deren Einholen schloss. Die Frage nach dem Aussehen der Alsfelder Marktfahne, die sich während der Präsentation der oben genannten Urkunde im Mai des vergangenen Jahres unter den Beteiligten im Stadtarchiv erhoben hatte und Bürgermeister Stephan Paule bewegte, konnte von Archivar Michael Rudolf auf der Grundlage der einst existierenden Stadtrechnungen aus den Aufzeichnungen Eduard Edwin Beckers wie folgt beantwortet werden. 1603 erhielt der in Alsfeld nicht unbekannte Handwerker und Künstler „Michaell Fincken von dem Wappen in die Marktfahnen zu machen 8 Albus (Weißpfennig)“. Des Weiteren wurden ihm drei Albus für die Arbeit „von der Stange an die Musterfahnen“ gegeben. Für das Anfertigen der Marktfahne sind „14 Eln (Alsfelder Elle im Maß einst 55 cm, ab ca. dem 19. Jh. 60 cm) groff grünen Tuches“, also eines starken Stoffes, verwendet worden, wobei Michael Finck für jede Elle achteinhalb Albus erhielt. Überdies zahlten die Stadtväter 15 Albus und 9 Heller für dreieinhalb „Leinwat“ und zwei Albus und siebeneinhalb Heller für „drei Quart (Viertelbogengröße) Seide“, die der Marktfahne hinzugefügt worden waren (vgl. E. E. Becker, Stadtrechnungen, in: M. GAVA 3. R. 1912, Nr. 24/25, S. 199). Bedauerlicherweise kann der Eintrag nicht mehr gezeigt werden, da er einem Brand zu Beginn des 19. Jahrhunderts zum Opfer gefallen ist.
Bürgermeister Stephan Paule entschied spontan, eine Marktfahne nach historischem Vorbild anfertigen zu lassen und gab Marion Jäckel von Seiten der Stadt den Auftrag, dass die Firma „Spontan Werbung“ eine „groff grüne Marktfahne“ herstellen soll. Wenn die Besucher des Alsfelder Pfingstmarktes in diesem Jahr an der „groff grünen Marktfahne“ vorübergehen, sind sie nicht nur daran erinnert, dass der Pfingstmarkt sein 350. Jubiläum begeht, sondern können das traditionelle Ereignis des Marktes und des heutigen Vergnügungsparks mit den vielen Festivitäten „unter dem Schutz“ des historisch nachempfundenen „Fähnleins“ erfahren, so, wie es viele Generationen vorher ebenfalls erlebt haben.
Literatur: E. E. Becker, Aus den verbrannten Stadtrechnungen, in: M. GAVA 3. R. 1912, Nr. 24/25, S. 199, M. Rudolf, Als der Landgraf freien Handel erlaubte, in: Oberhessische Zeitung v. 16. Mai 2018.