Vorgängerbau des Alsfelder Rathauses gefunden?
Archäologische Begleituntersuchung der Marktplatzsanierung dokumentiert Fundamente eines repräsentativen Bauwerks mit herausgehobener Bedeutung.
ALSFELD. Im Rahmen der Sanierungsarbeiten am Alsfelder Marktplatz sind Fundamente eines massiven steinernen Gebäudes gefunden und systematisch dokumentiert worden. Archäologen halten es für möglich, dass es sich um die Reste des ehemaligen Alsfelder Rathauses handelt. Dies geben die Stadt Alsfeld, die Abteilung hessenARCHÄOLOGIE des Landesamtes für Denkmalpflege in einer Pressemitteilung bekannt.
Seit Mitte 2018 laufen die umfangreichen Arbeiten zur grundlegenden Sanierung und Neugestaltung des Alsfelder Marktplatzes mit Anbindung an die Nebenstraßen. Auf Anraten des Landesamtes für Denkmalpflege werden die damit verbundenen Bodeneingriffe seitdem kontinuierlich von Archäologen begleitet. Im Einvernehmen mit dem Bezirksarchäologen der hessenARCHÄOLOGIE, Dr. Andreas Thiedmann, hat die Stadt Alsfeld die Fachfirma Wissenschaftliche Baugrund-Archäologie (WIBA) Marburg mit der archäologischen Baubegleitung unter der örtlichen Leitung von Uwe Schneider beauftragt.
Nachdem im Verlauf des Jahres 2019 mehrere archäologische Strukturen am Südrand des Markplatzes dokumentiert worden waren, wurden im September 2019 am Nordrand des Platzes in dem neuen Nahwärmeleitungsgraben zwei massive, in Nord-Süd-Richtung verlaufende Mauerzüge angeschnitten und dokumentiert. Diese Mauern weckten aufgrund ihrer ungewöhnlichen Massivität umgehend das Interesse aller Beteiligten. Daher ist vor Beginn der Bausaison 2020 die Lage und Ausdehnung des mutmaßlichen Bauwerkes durch eine Georadar-Prospektion erkundet worden. Deren Ergebnis blieb leider unbefriedigend vage, so dass im Vorfeld der neuen Pflasterverlegung der weitere Verlauf dieser Mauerzüge in der Fläche freigelegt und erkundet werden sollte.
Dabei zeigte sich schließlich ein rechteckiger Gebäudegrundriss mit den Außenmaßen von etwa 9 x 6 m in Ost-West-Ausrichtung. Das durchgängig nur noch im Fundamentbereich erhaltene Mauerwerk besteht aus Bruchsteinen größtenteils aus rotem Sandstein, gelegentlich sind auch unregelmäßige Basaltsteine verbaut in einem gelben Kalk-Sand-Mörtel. Ganz unregelmäßig sind waagerecht liegende Schieferplatten und auch hellgraue Tonbänder, beides wohl gegen aufsteigende Feuchtigkeit, eingebaut. Diese sehr einheitliche Bauweise zeigt an, dass alle freigelegten Mauerzüge zu ein und demselben Gebäude gehören, wenngleich in einzelnen Abschnitten ein vertikaler Versprung zu beobachten ist.
Die Gründungstiefe wurde im nordöstlichen und nordwestlichen Innenbereich in zwei Schürfen festgestellt: ein sehr massiv befestigter Kellerboden aus Sandstein mit teilweise vorhandenem Mörtelglattstrich von 0,40 m Mächtigkeit. Die Lauffläche des Kellerbodens liegt etwa 2,50 m unter heutigem Platzniveau. Die unterste, dem Kellerboden aufliegende Schicht der Verfüllung von etwa 0,40-0,60 m Stärke enthielt sehr viel Holzkohle und verziegelte Lehmstücke. Daraus kann geschlossen werden, dass das Gebäude mit seinen Holzbalkendecken und inneren Fachwerkwänden einer Brandkatastrophe zum Ofer viel. Des Weiteren wurde die Randscherbe eines Tongefäßes geborgen, das in den Zeitraum vom Übergang des 12. zum 13. bis zum Ende des 14. Jahrhunderts datiert.
Die Baugrube wurde seinerzeit recht genau in den geplanten Maßen des Aufgehenden ausgehoben und das Fundamentmauerwerk direkt an die Grubenaußenwand gesetzt. Da an allen untersuchten Abschnitten der anstehende Boden aus braunem Lehm mit Basalttuff besteht, zeichnete sich der Umriss der Baugrube sehr scharf und deutlich ab.
Der freigelegte Grundriss weist, neben seiner massiven Bauweise folgende Besonderheiten auf:
- Die beiden westlichen Ecken sind etwa rechtwinklig angelegt und die Mauerstärke beträgt etwa 0,60-0,80 m.
- Die beiden östlichen Ecken hingegen weisen jeweils eine halbkreisförmige äußere Verstärkung von 0,20-0,30 m auf und werden von einem wesentlich massiveren Mauerwerk unterfangen.
- Die Ostmauer weist in der Mitte eine deutliche Verbreiterung auf.
Durch diese asymmetrische Bauweise erhält der Baukörper eine nach Osten ausgerichtete Schauseite, deren Ecken durch leicht vorspringende Rundtürmchen oder vielleicht lediglich Erkertürmchen betont wurden.
Diese außergewöhnliche Bauform und massive Bauweise und die ehemals sicher freistehende Position auf dem Marktplatz zudem in der Blickachse der von Osten auf diesen heranführenden Hersfelder Straße lassen aus archäologischer Sicht den Schluss zu, dass es sich bei den neu entdeckten Fundamenten um die Reste des mittelalterlichen Rathauses handeln dürfte.
Aus Sicht des Stadtarchivars Dr. Norbert Hansen stellt sich die historische Überlieferung zur Sache wie folgt dar: Die früheste Erwähnung eines Rathauses (raithus) findet sich im ältesten erhaltenen Rechnungsbuch der Stadt von 1386/87. Hier sind für das Jahr 1386 Maurerarbeiten am Leonhardsturm und am Rathaus aufgeführt. Für den Turm gilt die Jahresangabe als Zeitpunkt der Errichtung dieses Bauwerkes, beim Rathaus bleibt offen, ob es neu erbaut oder nur repariert worden ist und somit schon existierte. Immerhin berichtet eine Urkunde von 1341 bereits von „Bürgermeister, Schöffen und Rat“. Spätere Quellen belegen nur, dass es ein Vorgänger-Rathaus gab, wie z. B. die Urkunde mit Stadtsiegel vom 27. Juli 1487 mit dem Wortlaut-Auszug „so wir jares uff unser raithus vallen han.“
Über das weitere Schicksal dieses ältesten belegten Rathaus-Bauwerks gibt es nur allgemeine Angaben. „anno 1449 ist das Rathaus abgebrannt“ steht auf einem Papier aus dem 19. Jahrhundert (!), allerdings ohne Quellenangabe. „Das Rathaus ist anno 1512 wieder erbauet … wegen deren in Vorjahren erlittenen Feuersbrunst …“ schreiben Gilsa und Leußler in ihrer Chorographie von 1664. Vom Stadtsyndikus Möller stammt diese Mitteilung von 1741: „Nach dem fatalen Brande des Rathauses ist dasselbe 1512 wieder erbaut worden“ und von Galéra formulierte 1974 in seiner „Geschichte der Stadt Alsfeld“: „Das alte Rathaus war 1510 oder 1511 zerstört worden, vermutlich durch Feuer … ; im Jahre 1509 stand es noch, wie früher nachgewiesen wurde.“
Zur Standortfrage eines älteren Rathauses gab es bisher nur Spekulationen. Pfarrer E. E. Becker vermutete 1912, dass das alte „an der Stelle des jetzigen Rathauses gestanden“ hat. Karl Dotter sah 1935 den Standort „in dem Winkel vor der Rittergasse“, als man dort einige Jahre zuvor bei Kanalsanierungsarbeiten „gut erhaltenen Fußbodenbelag und zahlreiche Brandreste“ gefunden hatte. Zu keiner Zeit aber hat es eine systematische Suche nach Spuren eines Vorgänger-Bauwerkes gegeben. Auch die jetzigen Grabungsergebnisse sind ein Zufallstreffer. Die entdeckten Fundamente eines massiven, steinernen Gebäudes sind ein starkes Indiz für ein ehemals repräsentatives Bauwerk mit hervorgehobener Bedeutung, frei auf dem Marktplatz stehend, vorstellbar als Sitz einer weltlichen Obrigkeit, dessen Existenz spätestens seit 1386 historisch verbürgt ist.
Um den Standort dieses bedeutenden Fundes auch künftig sichtbar für alle Interessierten zu dokumentieren, werden aktuell die entsprechenden Umrisse des Gebäudes in der Ausführungsplanung zur Marktplatzgestaltung eingepflegt. In der künftigen Neupflasterung soll sich dann der Grundriss des alten Gebäudes wiederfinden. Die vorgefundenen Mauerteile werden im Untergrund verbleiben und mit einer Schutzschicht im Rahmen der Straßenbauarbeiten wieder verfüllt.
Dr. N. Hansen (Stadtarchivar), U. Schneider (WiBA Marburg), Dr. A. Thiedmann (LfDH), Tobias Diehl (Stadtbauamt Alsfeld)